Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung

Scheinschlag

Nichts steht für sich

Ein Interview mit Sebastian Stegner und Matze Schmidt zu ihrem Projekt „real.-Mapping: kritisches Topografieren politischer Ökonomie"

Stegner und Schmidt sind Teilnehmer der Ausstellung Learning from* Städte von Welt, Phantasmen der Zivilgesellschaft, informelle Organisation, die ab dem 13. September in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) stattfindet. Mit Hilfe von Sprach- und Zeichenbildern versuchen sie, den Blick auf politisch-ökonomische Zusammenh‰nge zu lenken, ohne diese dadurch simplifizieren zu wollen. Engmaschige Theorie wird in Tableaus aufgedröselt, deren Inhalt beschaut, deren Vermittlungsgrenzen ausgelotet.

Wie seid Ihr zum NGBK-Projekt gekommen?

Stegner: "real.-Mapping" greift derzeitige gesellschaftspolitische Diskussionen auf. Die Ausstellung Learning from* in der NGBK thematisiert die sozialen Überlebens- und die daraus notwendigen Organisationsformen in den urbanen Zentren der vom Kapital ausgebeuteten Welt wie Lagos, Sao Paulo und Istanbul. Die dabei theoretisch anfallenden Stichwörter wie Selbstorganisation, informelle Ökonomie, Tauschprinzipien etc. wollen wir in Form von Mappings und Diagrammen aufnehmen. Wir erarbeiten Visualisierungen von Theoriesträngen in Form von qualitativen Mappings in bezug zur Ausstellung quasi auf einer theoretischen Meta-Ebene. Während der Dauer der Ausstellung wollen wir in der NGBK vor Ort sein und während drei bis vier Wochen zu der Thematik arbeiten und mappen. Diese Maps werden dann auf einer Online-Arbeitsplattform abgelegt und sind frei zugänglich im Netz einsehbar, in der Ausstellung natürlich auch. Wir werden Workshops zu Mapping-Strategien und zum kritischen Topographieren der politischen Ökonomie veranstalten.

Wie wird das gemacht?

Stegner: Technisch: mit Powerpoint oder Mindman. Inhaltlich, praktisch: Theorie-Stellen werden nach einer Recherche zusammenfassend benannt, begrifflich abstrahiert, dabei in Diagrammen und Maps verbildlicht und mit graphischen Metaphern der Systematisierung belegt. Die Diagramme werden verzweigend auf der Fläche verortet und nach Bedarf mit Zusätzen (Text, Bild, Audio) und Hyperlinks zu anderen Mappings und Materialien versehen.

Schmidt: Wir versuchen das sogenannte Maintainer-Modell anzuwenden, wie es in Organisationsstrukturen netzbasierter Projekte oft üblich ist: Ein technisch-logistischer Rahmen, bzw. eine Plattform wird von einem Initiator zur Verfügung gestellt, es werden thematische Schwerpunkte vorgeschlagen, die gemeinsam mediatisiert, aber vom Maintainer moderiert werden. Eine sehr simple, aber effektive Verfahrensweise. Wir arbeiten seit Mitte 2002 daran, und diese kurze Erfahrung zeigt, daß Mapping zwar immer etwas esoterisch managermäßig daherkommt, aber eine sehr aktive und gedächtnisst‰rkende Methode ist und in diversen Wissensmangementprojekten schon seit langem gepflegt wird, um den Zugang zu Wissen informatorischer, aber auch anschaulicher und intuitiver zu machen. Bei der steigenden Komplexität der Informationen ein hochaktuelles Thema.

Also, nicht ein Koch, der die Küche erklärt?

Schmidt: Um im Bild zu bleiben: Den Koch gibt es nicht, es gibt den Hausmeister, der die Küche zur Verfügung stellt, und es gibt viele Köche, die alle Rezepte tauschen und praktisch kochen. Der Hausmeister kocht auch mit, sucht aber auch schon mal den passenden Topf raus.

Diese Performance ...

Schmidt: Es geht nicht um eine Performance, es geht, sagen wir, um ein Environment, das genutzt wird. Wenn Performance, dann als Kritik an ihr, denn „Performance" ist ja ein Verschleierungsbegriff der Managerwirtschaft und meint faktisch ausbeutbare Arbeitsleistung.

Diese richtet sich an einem Publikum mit unterschiedlichen Voreinstellungen aus!?

Schmidt: Ich denke, die Maps und Diagramme sind teilweise sehr abstrakt und für jemanden, der in die Thematik, die sie behandeln, nicht eingearbeitet ist, auch schwer nachvollziehbar. Deswegen sind Kommentare in Form von Text oder Bildern, Fotos, sonstige Referenzen auch notwendig. Mapping ist eine andere Form darstellender Theoriearbeit im Gegensatz zu reiner Textrezeption. Prinzipiell ist das Projekt offen für alle Interessierten. Es geht uns darum, Aneignungsstrategien von Wissen zu checken, konkret auch: Was sagt wer wozu in den ökonomischen Debatten? Vor allem jedoch werden eher Wie- und Wieviel-Fragen, statt qualitative Warum-Fragen, systemisch gestellt und kartographiert.

Stegner: Ich denke, die Visualisierung gibt einen anderen Blick, das in Beziehung setzende Arbeiten eröffnet neue Felder, aber ersetzt nicht den Durchgang durch die Theorie. Das Mapping ist kein Ersatz für den Text, sondern eine Zusammenfassung, ein Beziehungsgeflecht, welche die Theoriestelle in ihrer Stellung zu anderen Begriffen/Kategorien, Theorien etc. zeigen soll.

Was hält die Leute in ihren Kategorien Journalismus, Kunst, Mathematik etc. fest? Wollt ihr mit dem Mapping eine Diskussion über Formen/Formeln innerhalb der Kommunikation anstoßen?

Schmidt: Eine solche Diskussion Können und wollen wir gar nicht anstoßen, das ist auch nicht unser Anliegen. Was wir testen wollen ist: Wie kann man sich theoretisches Wissen über ökonomische Zusammenhänge im Kontext einer Kapitalismuskritik so aufbereitend aneignen, daß die derzeit geradezu mörderische globale Politik pro Kapital systemisch einsehbar wird? Es geht uns auch nicht um stilistische oder methodische Probleme des Visualisierens von Kontexten, jedenfalls nicht hauptsächlich. Was wir schlicht und vermessen zugleich wollen, ist die Vermittlung und Bildung von etwas, das über Diskurs hinausgeht. Denn Diskurse als solche werden vielleicht immer mehr zu Scheindebatten, die, wie oft die deutsche Soziologie, die Verhältnisse nur beschreibend und reflexiv behandeln, aber keinerlei gesellschaftswandelnden Systemzusammenhang mehr wissen oder gar utopische Handlungsoptionen bedenken.

Utopie als praktische Handlungsanleitung? Ist die kämpferische Haltung ? innerhalb einer Kunst-Szene ? über die Pose durchzuhalten?

Schmidt: Die Kunst-Szene ist, glaube ich, als solche nicht entscheidend. Anti-Kunst, politische Kunst usw. interessieren hierbei nicht, sondern vielleicht ein Teil des Kunstsystems und ihre möglichen Plattformen als Feld für die in unserem Fall praktische Theorie.


Interview: Jörg Gruneberg Die Ausstellung "Learning from* Städte von Welt, Phantasmen der Zivilgesellschaft, informelle Organisation" ist vom 13. September bis zum 17. Oktober in der NGBK, Oranienstr. 25, Kreuzberg, zu sehen.

Im Rahmen des "Fake Fire/Friendly Fire"-Aktions- und Ausstellungswochenendes von Karsten Asshauer (www.versuchsszenarien.de) halten Schmidt und Stegner am 14. September um 19 Uhr im Büro Friedrich in der Holzmarktstraße 15-18, Mitte, einen Vortrag. www.real-mapping.netg


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